Einige grundlegende Gedanken
Thomas Mann sagte einmal, man müsse nicht gelehrt sein, um gebildet zu sein. Unter Bildung verstand er etwas Anderes als die Ansammlung von Wissen. Gemeint war, dass jeder einzelne Mensch zu einer Integration von Gesittung, Humanität und Sensibilität gegenüber dem Nächsten gelangen kann, auch ohne viel in Büchern zu lesen. Dass er die Lektüre von Büchern und den Erwerb von Wissen (‚das Gelehrte') damit nicht aus dem Bereich der 'Bildung' (die 'Kultur', das Kultivierte) hinwegdenken wollte, dürfte indes klarliegen.
Kultur und Wissen, eigentlich zusammengehörig und sich gegenseitig bedingend, stehen heute in einem etwas seltsamen Verhältnis zueinander:
- Was ist Kultur überhaupt, was sollte man wissen, um als kultiviert gelten zu können? In dieser Frage herrschen Uneinigkeit und Unsicherheit.
- Ist der Gelehrte, der Wissenschaftler per se schon ein Kulturträger? In Anbetracht mancherlei zerstörerischer Begleiterscheinungen des Fortschritts von Technik und Wissen wird man dies nicht leichthin bejahen wollen.
- Fraglich ist längst auch, ob die universitären Geisteswissenschaften für Kulturfragen allenthalben nützliche Beiträge leisten. Ihre Arbeit ist hoch spezialisiert, fachterminologisch durchsetzt, dabei aber öfters nicht informativ, sondern nicht selten schlicht unverständlich.
Thesen
Ich glaube daher, dass
- zur Zeit weder die Vertreter des etablierten Wissenschaftsbetriebes (Ausnahmen seien natürlich zugestanden), noch die kulturinteressierten Nichtwissenschaftler sonderliche Neigung verspüren, mit der jeweils anderen Gruppe in ein sinnvolles Gespräch einzutreten.
- das Verstehen von Kulturwerten (statt deren bloßes Konsumieren) im Rückgang begriffen ist, ohne dass der Wissenschaftssektor Erfolgversprechendes dagegen unternimmt.
- der universitäre Betrieb selbst Energien an überflüssige Tätigkeiten verschwendet.
- die Struktur und Organisation von Forschung und Lehre - zurückhaltend formuliert - verbesserungsfähig ist.
- die grundlegenden Fähigkeiten methodischen Wissenserwerbs im Massenbetrieb scheinbarer Wissensvermittlung Schaden erleiden.
Selbstverständnis als Wissenschaftler
Aktivität im Wissenschaftssektor und kompetente Wissensvermittlung im Kulturbereich erscheinen gleichermaßen notwendig.
- Ich bin nicht der Meinung, dass ein Text oder ein Vortrag mit wissenschaftlichem Anspruch seine Qualität dadurch erweist, dass ihn möglichst wenige Menschen verstehen.
- Ich glaube vielmehr, dass Wissenschaft etwas mit Klarheit und Erkenntnis zu tun hat.
- Ich bin der Überzeugung, dass selbstbezogenes Dahin-Forschen in eine spezifische Form mangelnder Sozialität führen kann.
- Ich interessiere mich weniger für Begriffe, dafür umso mehr für Sachverhalte, und ziehe in diesem Sinne die gehaltvolle der leeren Geistigkeit vor.
Ein paar Wünsche für die Zukunft
Wir sollten als Wissenschaftler Beiträge leisten, den Wissenschaftsprozess an den Hochschulen und Universitäten zu verlebendigen. Dazu ist es erforderlich,
- Hilfen zu leisten, das nötige Rüstzeug zu erlernen und zu beherrschen, ohne dessen Status als Hilfsmittel aus dem Blick zu verlieren.
- Erfahrungen zu vermitteln, um nicht dem unübersichtlich gewordenen Wissenschaftsbetrieb zu erliegen.
- Studien- und Prüfungsbegleitung sachgerecht und sensibel durchzuführen, um zu verhindern, dass mehrjährige angestrengte Mühen vergebens gewesen sein könnten.
- Zeitbudgets rationell zu gestalten, um die Freiheit für wirklich relevante und interessante Forschung zu erringen.
- Arbeiten zu delegieren, die besagten Forscherdrang behindern oder in Bezug auf diesen bloße Hilfsarbeiten sind.
- Leistungen zu erbringen, die zur Besserung der Hochschulverhältnisse in Deutschland und deren langfristige Konkurrenzfähigkeit im internationalen Maßstab (an der viele zur Zeit Zweifel hegen) beitragen.
Angesprochen seien die Geisteswissenschaften, aber auch andere universitäre und Hochschulbereiche.
Hinwendung zum Nichtfachmann
Ferner nehme ich den Gedanken der Integration von Kultur und Wissen sowie ihre Relevanz für das kulturinteressierte Publikum ernst:
- Ich bin nicht der Ansicht, dass man über Kultur nicht nachdenken müsse.
- Ich bin der (zugegebenermaßen konservativen) Auffassung, dass die Beschäftigung mit Kulturwerten ein gewisses Maß an Bemühung voraussetzt.
- Ich kenne die Steigerung der Freude am konkreten Kulturereignis, wenn man dessen geistige Hintergründe einbeziehen kann.
- Ich bejahe den Bedarf, das für das breite Bewußtsein verlorene Wissen wiederzubeleben und zu vermitteln.
In diesem Sinne wende ich mich den - allzu oft herablassend 'Laien' genannten - Kulturinteressierten zu.
- Wir als Wissenschaftler müssten die Übersetzung neuerer Forschungserkenntnisse in Seminaren und Kulturinformationen leisten, ohne Substanz zu opfern oder über Gebühr zu vereinfachen.
- Wir sollten den Beweis antreten, dass hohes Niveau der Wissensvermittlung und Verständlichkeit der Sprache miteinander vereinbar sind.
- Wir dürfen keine Berührungsängste mit Kulturinteressierten kennen, deren Vorkenntnisse gering sind.
- Wissenschaftler anerkennen den gesellschaftlichen Wert von Kultur am besten dadurch, dass sie ihren Einsatz als sozialbindenden Faktor bejahen.
- Und schließlich meine ich, dass Kultur zwar Bemühung voraussetzt, dass sie aber auch Freude macht. Ich misstraue den Doktrinären, die genau wissen, was Kultur und Kulturverhalten sei.
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Wolfgang Krebs